Bericht zur 11. Jahrestagung der SGS

Bericht zur 11. Jahrestagung der SGS

14.-15.02.2019, an der Universität Freiburg

Die positiven Auswirkungen von Sport und Bewegung auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden sind heute unbestritten. Körperliche Aktivität senkt nachweislich das Risiko für eine Menge von (Wohlstands-) Erkrankungen, wie Herz-Kreislauf-Leiden, Diabetes, Adipositas, Osteoporose, Depressionen und sogar Krebs und wird immer häufiger auch therapeutisch eingesetzt. Leider wirkt sich dieses Wissen (noch) nicht auf das Bewegungsverhalten unserer modernen Gesellschaft aus.
Unser Bewegungsverhalten wird zweifellos – bewusst oder unbewusst – durch unser Gehirn bestimmt. Erst in den letzten Jahren aber hat sich die Wissenschaft vermehrt dafür interessiert, wie umgekehrt das Bewegungsverhalten unser Gehirn beeinflusst. Heute ist das Thema aktueller denn je und immer mehr Erkenntnisse zeigen, dass Sport und Bewegung nicht nur unsere körperliche, sondern auch unsere mentale Gesundheit und unsere kognitiven Fähigkeiten positiv beeinflussen. Obwohl die genauen Mechanismen noch nicht im Detail verstanden werden, gilt es heute als gesichert, dass Sport und Bewegung einen positiven Effekt auf die Plastizität des Gehirns und somit auf kognitive Funktionen und Intelligenz haben. So erstaunt es nicht, dass physisch aktive Kinder oft durch bessere schulische Leistungen auffallen als inaktive oder dass Bewegung hilft, die kognitiven Fähigkeiten im Alter zu erhalten.
Trotz der vielen positiven Aspekte kann Sport auch negative Auswirkungen auf unser Gehirn haben. Ein grosses Thema, dem erst nach und nach die nötige Beachtung geschenkt wird, sind hier die vielen Gehirnerschütterungen in Sportarten wie Eishockey, American Football oder Boxen. Heute weiss man, dass multiple Schädel-Hirn-Traumata zu neurodegenerativen Veränderungen im Gehirn führen können. Die Folge sind gravierende Langzeitschäden, wie kognitive Einschränkungen, Erinnerungsstörungen, Alzheimer oder Depressionen.
Die Organisatoren der 11. Jahrestagung der SGS hatten daher das Tagungsthema «Sport und Gehirn» gewählt. Über 140 Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler aus der ganzen Schweiz sowie Gäste aus dem Ausland berichteten während der beiden Tage von ihren aktuellen Forschungsergebnissen und diskutierten über Innovationen in ihrem Bereich. Neben den qualitativ hochwertigen Arbeitskreisen sind besonders die Hauptvorträge zu betonen, die – um das Tagungsthema ganzheitlich zu beleuchten – die positiven sowie negativen Aspekte der körperlichen Aktivität auf das Gehirn behandelten.

Hauptvorträge

Prof. Dr. Jesper Lundbye-Jensen

Den ersten Hauptvortrag hielt Prof. Dr. Jesper Lundbye-Jensen von der Universität Kopenhagen. Er leitet die Arbeitsgruppe «Motor Learning and Neuroplasticity», die ein Teil der Ausrichtung «Copenhagen Neural Control of Movement» ist. In seinem Vortrag behandelte er das Thema «Motor skill learning and consolidation – effects of exercise». Prof. Lundbye-Jensen betont in seinem Hauptvortrag, dass für ein erfolgreiches motorisches Lernen zwei Voraussetzungen erfüllt sein müssen: so muss neben einer ideal gestalteten Übungsphase auch die Zeit nach dem Üben der motorischen Aufgabe so gestaltet sein, dass neue Gedächtnisinhalte optimal konsolidiert werden.

Im ersten kurzen Teil seines Vortrags erläuterte Prof. Lundbye-Jensen die Wichtigkeit eines optimal gestalteten Trainings für den langfristigen motorischen Lernerfolg. So stellte er unter anderem eine Studie seiner Arbeitsgruppe vor, in der die Komplexität der Lernaufgabe immer an die aktuelle Leistung der Probanden angepasst wurde. In dieser Studie konnte seine Arbeitsgruppe nachweisen, dass ein angepasstes motorisches Training in erhöhten Verhaltensanpassungen resultiert und diese mit einer erhöhten Neuroplastizität einhergehen verglichen zu einem Training mit konstant gehaltenem Niveau der Lernaufgabe.

Im zweiten Teil beleuchtete Prof. Lundbye-Jensen dann ausführlich die Frage, ob und wie eine akute körperliche Aktivität den motorischen Lernerfolg beeinflussen kann. So ist es aus theoretischer Sicht möglich, dass (i) körperliche Aktivität vor dem Üben einer motorischen Aufgabe die Lernrate positiv beeinflussen kann und/oder (ii), dass körperliche Aktivität nach dem Üben die Konsolidierung des neu aufgebauten Gedächtnisinhaltes positiv beeinflusst. In der Tat gibt es Evidenz dafür, dass bereits eine einzelne Einheit körperlicher Aktivität vor dem Üben einer motorischen Aufgabe die Übungsrate beeinflussen kann, dies aber nicht bei allen motorischen Aufgaben gleichermassen der Fall ist. Hingegen scheint es einen robusten Effekt einer einmaligen körperlichen Aktivität auf die Konsolidierung von neuen Gedächtnisinhalten zu geben, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. In einer Serie von Studien untersuchte die Arbeitsgruppe um Prof. Lundbye-Jensen daher die Frage, wie körperliche Aktivität gestaltet sein muss, um einen optimalen Effekt auf die Lernleistung zu erzielen. So scheint unter anderem eine hohe Intensität einen stärkeren Effekt zu erzielen als eine körperliche Aktivität mit tiefer Intensität oder Inaktivität. Ebenso scheint eine körperliche Aktivität, die zeitlich unmittelbar nach dem Üben durchgeführt wird, am effizientesten zu sein, um neue Gedächtnisinhalte zu konsolidieren. Besonders wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass solche Unterschiede häufig erst in verzögerten Retentionstests nach zum Beispiel einem Tag oder einer Woche gefunden werden können.

Zum Abschluss erläutere Prof. Lundbye-Jensen noch die möglichen Mechanismen, die die verbesserten Lernraten erklären könnten. So scheinen die erhöhten Konzentrationen von Laktat, BDNF oder Noradrenalin während der körperlichen Aktivität eine Rolle für die verbesserte Leistung in den verzögerten Retentionstests zu spielen. Allerdings sind solche mechanistischen Studien beim Menschen manchmal schwer durchzuführen, weshalb gerade in diesem Bereich noch einige Unklarheiten bestehen. Zum Abschluss betonte Prof. Lundbye-Jensen in einem amüsanten Schlusswort, dass viele Einflussfaktoren das motorische Lernen und die Kognition beeinflussen und die körperliche Aktivität somit nur einer von vielen Faktoren ist. Man kann also schwerlich alleine durch Sport zum „Genie“ werden.

Prof. Dr. Michael Grey

Den zweiten Hauptvortrag der diesjährigen Jahrestagung hielt Prof. Dr. Michael Grey von der University of East Anglia in Norwich. Prof. Grey forscht im Bereich der Neuroplastizität und Neurorehabilitation mit einem starken Fokus auf Gehirnverletzungen. Im Zuge seines Hauptvortrags referierte er über seine Forschungsarbeiten im Bereich der Gehirnerschütterungen.

Seinen Hauptvortrag begann Prof. Grey mit dem schockierenden Trailer des Films «Head games: the global concussion crisis». Laut eigener Aussage ist Prof. Grey zwar kein Freund von langen Videosequenzen an Kongressen, will mit dem Zeigen des Trailers aber darauf aufmerksam machen, dass Gehirnerschütterungen im Sport ein sehr weit verbreitetes Problem sind. Die sportpolitische Bedeutung des Themas untermauert Prof. Grey unter anderem mit verschiedenen Gerichtsurteilen in den USA. So haben beispielsweise amerikanische Eltern erfolgreich dafür geklagt, dass Kinder bis zum Alter von elf Jahren keine Kopfbälle mehr im US-Jugendfussball ausführen dürfen.

Prof. Grey betonte mehrfach, dass eine Gehirnerschütterung nicht immer mit einem Bewusstseinsverlust einhergehen muss. So gibt es viele andere Anzeichen wie Benommenheit, Brechreiz oder Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen oder auch Gleichgewichtsstörungen, die bereits starke Indikatoren für eine Gehirnerschütterung sind und die ebenso wichtig und relevant sind. Ebenso sei das Wahrnehmen von Sternen bei einem Kopfball ein schlechtes Zeichen. Dies ist besonders im Kindesalter relevant, da Kinder einen relativ grossen Kopf haben, die Nackenmuskulatur aber häufig noch nicht voll entwickelt ist, weshalb Kinder ein höheres Risiko haben, bereits durch einen Kopfball einen negativen Einfluss auf ihr Gehirn zu erleiden. Ebenso sind Kinder aber auch in anderen Sportarten wie Rugby, Eishockey oder American Football durch den noch nicht vollständig entwickelten Körper einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Prof. Grey betonte in diesem Kontext auch, dass der Satz «ein guter Helm schützt vor Gehirnerschütterungen» einer von vielen Mythen ist, die in der Sportwelt grassieren. So sind Wobbelbewegungen des Gehirns besonders schädlich und werden auch durch einen Helm nicht abgeschwächt. Da zudem schnelle rotatorische Bewegungen negative Auswirkungen auf das Gehirn haben, können Helme in gewissen Situationen durch den verlängerten Hebelarm sogar kontraproduktiv wirken.

Auch die Annahme «Gehirnerschütterungen sind nicht schlimm» ist äussert kritisch zu sehen, da pathophysiologische Studien gezeigt haben, dass die Homöostase der Neurone durch eine Gehirnerschütterung gänzlich aus dem Gleichgewicht gebracht wird. So sind unter anderem der Ionentransport negativ beeinflusst, es ist eine erhöhte Konzentration freier Radikaler messbar und auch die Funktionsweise der Mitochondrien ist stark eingeschränkt, wodurch sich in der Zelle eine Energiekrise entwickelt. Diese pathophysiologische Veränderung der Zellfunktion erklärt auch, weshalb die Auswirkungen eines zweiten Schlages auf den Kopf so fatale Auswirkungen haben können (second impact syndrom).

Neben den direkten Auswirkungen auf die Zellfunktion erläuterte Prof. Grey auch die langfristigen Effekte von regelmässigen Gehirnerschütterungen auf die Struktur des Gehirns. So resultieren regelmässige Schläge auf den Kopf in starken neurodegenerativen Prozessen. Besonders interessant ist zudem die Tatsache, dass im Tiermodell bereits nach schwachen Schlägen auf den Kopf, die keinerlei Zeichen von Gehirnerschütterung nach sich ziehen, pathologische Veränderungen im Gehirn nachgewiesen werden konnten.

Am Ende seiner Präsentation betont Prof. Grey folgende wichtigen Aspekte, die es im Sport zu beachten gilt:

  • Gehirnerschütterungen sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen
  • Helme schützen nicht gegen Gehirnerschütterungen
  • Gehirnerschütterungen gehen nicht zwingend mit Bewusstseinsverlust einher
  • Man kann Gehirnerschütterungen nicht einfach «abschütteln».
  • Man kann sich nicht innerhalb von 24 Stunden von einer Gehirnerschütterung erholen.
  • Trainer und Athleten können keine Gehirnerschütterung diagnostizieren. Im Zweifelsfall sollte ein Spieler immer geschont werden!

 

Generalversammlung der SGS

Die 11. Ordentliche Generalversammlung der SGS wurde am Abend des 14. Februars 2019 abgehalten und von 32 Personen besucht (davon 4 Gäste). Die im Vorfeld per Email versendeten Traktanden wurden von allen anwesenden Personen befürwortet. Wolfgang Taube leitete in seiner Funktion als Präsident der SGS die Generalversammlung. Neben dem ausführlichen Bericht über das Geschäftsjahr 2018 durch Wolfgang Taube sind vor allem die Änderungen im Bereich der Nachwuchsförderung und im Bereich der Theorie-Praxis-Verknüpfung zu betonen. So berichtete Mirko Schmidt über die Einführung einer neuen «summer» bzw. «winter school», die anstelle des Nachwuchsworkshops eingeführt wird. Der generelle Gedanke ist, dass die SGS eine monetäre Unterstützung für summer/winter schools bietet. Die monetäre Unterstützung wird im Zuge einer «Tour de Suisse» an sämtliche Institutionen der Netzwerkkonferenz vergeben (ergo: nicht kompetitiv), so dass sämtliche Institutionen eine qualitativ hochwertige summer/winter school organisieren können. Eric Jeisy informierte zudem über ein Treffen, das er mit den Sportpraktikern/innen hatte. Bei diesem Treffen wurde beschlossen, dass die Sportpraktiker/innen ab dem Jahr 2020 eine eigene Retraite organisieren, die unabhängig von der jährlichen Jahrestagung stattfinden wird.

Sämtliche Details zur Generalversammlung können gerne im Protokoll nachgelesen werden.