Hauptreferate
Nach dem Input von Prof. Dr. Achim Conzelmann über den Stand der Schweizer Sportwissenschaft wurde klar: Die Sportwissenschaft in der Schweiz wächst und floriert! Dies zeigt unter anderem an der Zunahme von Publikationen, einem wachsenden Anteil von akquirierten Drittmitteln, mehr eingerichteten Professuren wie auch an den in den letzten zehn Jahren rapide gestiegenen Studierendenzahlen.
Nach dieser kurzen Einführung zur „Lage der Nation" begrüsste Prof. Emeritus Jean Camy (Université Claude Bernard Lyon 1, France) zum ersten Hauptreferat. Unter dem Titel „A state of the art of Sport Sciences in Europe: a ‘Science Studies’ viewpoint" zeigte er, dass die Sportwissenschaft auch in Europa ein aktives Forschungsfeld ist, welches sich in den vergangenen 20 Jahren etabliert hat und an welchem sich etwa 150000 Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler beteiligen. Allerdings stehe sie immer noch vor schwierigen Herausforderungen. So werde z.B. die Sportwissenschaft immer noch von etablierten Disziplinaritäten dominiert, was sich daran zeige, dass das Feld des Sports oft nicht mehr als ein Anwendungsfeld für Wissen aus anderen Disziplinaritäten sei. Dadurch werde allerdings die Etablierung einer eigenständigen interdisziplinären Sportwissenschaft beeinträchtigt. Gerade der zunehmende Gesundheitsbezug ist vor diesem Hintergrund kritisch zu hinterfragen, da er die Gefahr birgt, die Sportwissenschaft in die Gesundheitswissenschaften integrieren zu wollen, wie dies etwa in den Vereinigten Staaten und Australien bereits geschehen ist.
In einem berührenden Arbeitskreis wurde am Donnerstag Nachmittag an das wissenschaftliche Vermächtnis von Prof. Dr. Arturo Hotz erinnert, einem der einflussreichsten Schweizer Sportwissenschaftler der letzten Jahrzehnte. Dabei wurde das Lebenswerk des im Juli des vergangenen Jahres – viel zu früh – verstorbenen Arturo in vier Referaten von Freunden und wissenschaftlichen Wegbegleitern beleuchtet. In den Ausführungen von Urs Rüdisühli zu Arturo Hotz, dem Sportpraktiker, von Pius Disler zu Arturo Hotz, dem Sportpädagogen, von Walter Mengisen (gelesen von Urs Rüdisühli) zu Arturo Hotz, dem Sporthistoriker und Ernst-Joachim Hossner zu Arturo Hotz, dem Sportmotoriker, wurde dessen ganzheitliches Wirken noch einmal in eindrücklicher Weise deutlich.
Das zweite Hauptreferat, gehalten von Prof. Mike McNamee (Swansea University, Wales), trug den Titel „Innovative sports medicine treatments and the placebo effect: ethical and epistemological considerations". Darin wurden weniger Antworten geliefert als viel mehr Fragen gestellt, welche gerade für die multi- und interdisziplinäre Arbeit von grösster Relevanz sind. Den Ausgangspunkt bildete die philosophische Frage danach, was Evidenz ist. Auf eindrückliche Weise wurde aufgezeigt, dass sich die Wissenschaft und die Medizin oft auf einem schmalen Grat bewegen, wenn es darum geht, Anweisungen für die Praxis im Spitzensport zu geben, da viele der verwendeten Behandlungsmethoden mit entsprechenden Unsicherheiten verbunden sind. Denn oft sei die Effektivität einer Behandlungsmethode nicht eindeutig und nicht selten herrscht Unklarheit über mögliche Nebenwirkungen. Erschwerend komme hinzu, dass der Spitzensport nach schnellen Rezepten verlangt und die verschiedenen Stakeholder unterschiedliche Interessen verfolgen. Letztlich gehe es bei der Wahl einer Behandlung deshalb immer um ein Abwägen zwischen Kosten und Nutzen und letztlich eben um die Frage, welches Risiko dem zu behandelnden Athleten zumutbar ist.